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Es ist fester Bestandteil der linken Folklore, von "braunen Rattenfängern" zu sprechen, wenn faschistische Führer gemeint sind. Doch stimmt dieses Bild? Als Rattenfänger werden Menschen bezeichnet, die Ratten erschlagen, vergiften und vertreiben. Natürlich, der "braune Rattenfänger" ist eine Anspielung auf den Rattenfänger von Hameln. Also doch ein stimmiges Bild, oder etwa nicht?

Im Jahre 1284 ließ sich zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Er hatte einen Rock von vielfarbigem, bunten Tuch an und gab sich für einen Rattenfänger aus, indem er versprach, gegen ein gewisses Geld die Stadt von allen Mäusen und Ratten zu befreien. So berichtet es die Sage, und die Hamelner Bürger waren froh, daß da einer kam, der der Plage Herr werden wollte, denn alle Vorräte wurden von den Ratten und Mäusen angeknabbert und es kam eine Not über die Stadt. Man sagte ihm einen Beutel Dukaten zu, und der Fremde zog mit einer Pfeife oder Schalmei durch die Straßen Hamelns. Er blies eine seltsame süßliche Melodie, Ratten und Mäuse kamen aus ihren Löchern, folgtem dem Rattenfänger in langer Reihe und ertranken alle jämmerlich in einem Fluß, zu dem er sie gelockt hatte.

Na also, sagt der Altlinke, paßt doch. Der braune Rattenfänger führt seine Anhänger ebenfalls ins Verderben, wie wir alle wissen. Aslo darf man den "Rattenfänger". - Doch hat er den Bürgern einen großen Gefallen getan, wende ich ein, jedenfalls in der Sage. Die geht übrigens noch weiter: Als aber die Bürger sich von ihrer Plage befreit sahen, reute sie der versprochene Lohn und sie verweigerten ihn dem Mann, so daß dieser verbittert wegging. Das ist ja Vertragsbruch, das ist glatter Betrug, ruft nun der Altlinke, das passiert heute ebenfalls, indem die Löhne gesenkt und Versicherungsleistungen gestrichen werden, wie wir alle wissen. - Ob er sich nun vielleicht mit dem Rattenfänger solidarisieren wolle, frage ich, während er ganz unbehaglich dreinschaut und einräumt, man müsse das überdenken, eventuell darf man den "Rattenfänger" doch nicht.

Die Sage geht übrigens noch weiter: Am 6. Juni kehrte er jedoch zurück in Gestalt eines Jägers, erschrecklichen Angesichts, mit einem roten, wunderlichen Hut und ließ, während alle Welt in der Kirche versammelt war, seine Pfeife abermals in den Gassen ertönen. Dieses Mal kamen die Kinder aus ihren Häusern, folgten dem Fremden zur Stadt hinaus in einen Berg und wurden nie wieder gesehen. Nur zwei Kinder kehrten zurück, weil sie sich verspätet hatten; von ihnen war aber das eine blind, so daß es den Ort nicht zeigen konnte, das andere stumm, so daß es nicht erzählen konnte. Ein Kinderschänder, ruft der Altlinke empört, einer, der die Kleinen lockt und dann schlimme Dinge tut, wie wir alle wissen. Den "Rattenfänger" darf man also unbedingt. - Im Mittelalter neigte man zu drastischeren Methoden als heute, erkläre ich, aber die Rachlust des Rattenfängers ist doch zu verstehen. Und außerdem kann man Kinderschänder und Nazis nicht einfach gleichsetzen.

Die Moral von der Geschichte jedenfalls ist, daß man Menschen, die eine Arbeit für einen verrichten, für diese Arbeit auch nach ihren Forderungen bezahlen soll, wenn man die Arbeit nicht selbst tun kann (oder will). Das ist immer aktuell und das darf man nicht nur, sondern muß es unbedingt, wie wir alle wissen.


hameln

huflaikhan meinte am 7. Sep, 14:06:
Das ist eine schöne Analyse. Zwei Anmerkungen.
a) Wir wissen nicht, was mit den Kindern geschehen ist, vielleicht hat sie sogar an einen besseren Platz gebracht, an einen, in dem die Eltern ihre Versprechen halten.
b) Interessant ist doch auch die psychophysische Bedeutung der Musik (oder der Pfeiftöne) in dieser Geschichte. Sowohl Ratten wie Kinder reagieren wie hypnotisiert auf diese Geräusche. Es fällt auch niemandem auf, dass sie gelockt werden, weil "alle Welt in der Kirche war". Was da für eine Psychologie hinter steckt? (Bietet die Kirche den akustischen Schutz (a) und ist darum gut, oder zeigt sie (b) die Abwesenheit der Gesellschaft, sozusagen dass die Gebete Ablenkungsfunktion haben?

Wenn Nazis Rattenfänger sein sollten, wer hat diese Ratten dann so zugerichtet, dass sie ihnen folgen - oder ist das unvermeidlich und unabwendbar, weil alle auf diese Musik so reagieren? 
Dicki antwortete am 8. Sep, 00:11:
a) genau, das wäre möglich (die Sage behauptet, die Kindern seien dem Rattenfänger in den Berg gefolgt und in Siebenbürgen herausgekommen - naja)
b) die Sage spricht der Musik sozusagen diabolische Macht zu. Ich würde eher sagen, der Rattenfänger war ein Popstar. Vielleicht hat er den "Earth Song" gepfuffen, den M. Jackson rund 700 Jahre später als seine eigene Komposition ausgegeben hat. 
 

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