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"Das Parfüm" von Patrick Süskind (Diogenes, 1985) ist eine wunderbare schwarze Komödie. Nach vielen Jahren habe ich diesen Roman wieder gelesen und bin begeistert. Geradezu brutal schildert der Autor realistisch Szenen aus Paris (und Frankreich) zwischen 1730 und 1760.

Jean Baptiste Grenouille, ein wenig dem verhutzelten Gnom in E.T.A. Hoffmanns "Klein Zaches genannt Zinnober" nachempfunden, ist einerseits Genie der Düfte, andererseits ohne Gewissen und Mitgefühl. Aus Begeisterung für außerordentliche Wohlgerüche wird er zum Mörder. Aber nicht wegen der Morde - immerhin 26 an der Zahl - , sondern weil er sowohl der Welt der Menschen als auch seiner selbst vollkommen überdrüssig ist, führt er sein eigenes Ende herbei, nachdem er ein ganz unglaubliches Parfüm kreiert und erprobt hat.

Wie entwickelt sich ein Mensch, der mit der denkbar feinsten Nase ausgestattet ist (also die alltäglichen Gerüche der menschlichen Gesellschaft als permanente Zudringlichkeit empfinden muß), aber selbst keinen Geruch, also keine Eigenidentität hat? Süskind spielt das gedanklich konsequent durch und schildert uns seine Überlegungen mit vielen trefflichen satirischen Einfällen (mit denen er nicht das 18. Jahrhundert, sondern Erscheinungen der Gegenwart aufspießt) in Form der "Geschichte eines Mörders", wie der Untertitel des Romans lautet. Seine Erzählung hat soviel Glaubwürdigkeit, der Mörder wird uns so verständlich, das phantastische Parfüm so verlockend nahegebracht, daß wir zu Komplizen an den Morden werden, damit wir die Wirkung dieser unerhörten und genialen Création miterleben dürfen.

Viele Bücher unserer Zeit sind nur eine langweilende Versammlung von Worten, manche sind eine Sammlung von Gedanken und Einfällen, und nur ganz wenige erzählen gedanken- und wortreich eine interessante Geschichte. "Das Parfüm" ist eines der letzteren und so habe ich es genossen.

Er war schon im Begriff, die langweilige Versammlung zu verlassen, um an der Galerie des Louvre entlang heimwärts zu gehen, als ihm der Wind etwas zutrug, etwas Winziges, kaum Merkliches, ein Bröselchen, ein Duftatom, nein, noch weniger: eher die Ahnung eines Dufts als einen tatsächlichen Duft - und zugleich doch die sichere Ahnung von etwas Niegerochenem. Er trat wieder zurück an die Mauer und blähte die Nüstern. Der Duft war so ausnehmend zart und fein, daß er ihn nicht festhalten konnte, immer wieder entzog er sich der Wahrnehmung, wurde verdeckt vom Pulverdampf der Petarden, blockiert von den Ausdünstungen der Menschenmassen, zerstückelt und zerrieben von den tausend anderen Gerüchen der Stadt. Aber dann, plötzlich, war er wieder da, ein kleiner Fetzen nur, eine kurze Sekunde lang als herrliche Andeutung zu riechen ... und verschwand alsbald. Grenouille litt Qualen. Zum ersten Mal war es nicht nur sein gieriger Charakter, dem eine Kränkung widerfuhr, sondern tatsächlich sein Herz, das litt. Ihm schwante sonderbar, dieser Duft sei der Schlüssel zur Ordnung aller anderen Düfte, man habe nichts von den Düften verstanden, wenn man diesen einen nicht verstand, und er, Grenouille, hätte sein Leben verpfuscht, wenn es ihm nicht gelänge, diesen einen zu besitzen. Er mußte ihn haben, nicht um des schieren Besitzes, sondern um der Ruhe seines Herzens willen.
 

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